Die Beziehung zwischen Goethe und Charlotte von Stein ist die wohl bekannteste Liebesaffäre der deutschen Literaturgeschichte, der bis heute die Aura des Skandalösen anhaftet. Literaturhistoriker greifen hier meist zu einem einfachen interpretatorischen Schlüssel: Ein rebellischer junger Dichter und dessen verheiratete, dem höfischen Establishment angehörende Muse, die seinen ungestümen Charakter einhegt und damit den intellektuellen und künstlerischen Werdegang zum Klassiker ermöglicht.
Die vorliegende Studie geht von diesem Schema ab. Denn die subtile Analyse der Liebesbriefe Goethes führt zu dem Ergebnis, dass ihre Beziehung ein auf dem Briefpapier stattfindendes Spektakel war. Zwar baute es sich auf wirklichen Gefühlen und Emotionen auf, aber die sich daraus ergebenden Worte und Rollen konnten im Medium Brief performativ gestaltet und modelliert werden; ganz so, wie es die schriftstellerische Phantasie des Autors gebot. Indem Goethe Frau von Stein mit epistolären Liebesbekenntnissen überschüttete, betrat er eine Bühne, auf der er gleichzeitig auch die Rollen des Regisseurs, des Szenographen und des Souffleurs ausfüllte.
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