Das vorliegende Themenheft resümiert die erhöhten akademischen Publikationsaktivitäten zum Thema Zwangsmigration im zurückliegenden Jahrzehnt in deutscher, polnischer, englischer, italienischer und anderen Sprachen.
Politisch, ideologisch, ethnisch, religiös oder anders begründete erzwungene Migrationen haben das Europa der Moderne maßgeblich geprägt. In zahlreichen Kriegen wurden Zivilbevölkerungen im Zuge von Militäraktionen zur Flucht gezwungen – häufig ohne Rückkehrmöglichkeit – oder gezielt vertrieben. Die Vorstellung eines ethnisch homogenen Nationalstaates gewann mit dem Zusammenbruch der Imperien im Ersten Weltkrieg und dem Aufbau einer europäischen Nachkriegsordnung, die im Zeichen eines Selbstbestimmungsrechts der Völker stehen sollte, weite Zustimmung. Sowohl in Friedens- wie in Kriegszeiten haben Regierungen die Zwangsumsiedlung ethnokultureller Großgruppen auch innerhalb ihres Staatsgebietes dekretiert, zum Mittel der Ausweisung gegriffen oder durch Druck und das Schüren von Angst unliebsame Gemeinschaften zum Gehen genötigt. Die Ziele der Täter in Zwangsmigrationsprozessen bestanden in der Regel in der Herstellung „rassischer Reinheit“, ethnonationaler Homogenität und/oder religiöser Purifikation. Aber auch Habgier, Hass und Sadismus wirkten als Triebkräfte. Die Folgen waren massenhaftes Flüchtlingselend, Entvölkerung, ökonomische Krisen, kulturelle Verarmung und politische Radikalisierung, desgleichen Vergeltungsmaßnahmen, Revisionsstreben und Konfliktperpetuierung.
Jedoch lässt sich zugleich ein moralisch begründeter Wertewandel beobachten der dazu führte, dass staatlich verordnete Zwangsmigration vulgo ethnische Säuberungen ebenso wie Völkermord nicht nur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet, sondern auch international geahndet werden. Überdies wird Vertriebenen jetzt ein Recht auf Rückkehr zugestanden und die derzeitig weiche Bestimmung (soft law) einer Responsibility to Protect (Schutzverantwortung), welche der Staatengemeinschaft die Verantwortung für den Schutz von und gerade solcher Bürger fremder Staaten, die von Vertreibung oder Mord durch ihre eigene Regierung bedroht sind, auferlegt, könnte eines Tages zu eine ius cogens, d.h. zu einer zwingenden Völkerrechtspflicht, werden.
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